Modernes Gestalten ist wie ein Schwungrad, das etwas beim Betrachter in Gang setzen soll. Das Rad der Design-Trends dreht sich jedoch unaufhörlich weiter, und es ist schneller geworden. Besonders schnell und kraftvoll hat es gewirkt, wenn das Design den Betrachter immer wieder neu beeindrucken oder sogar herausfordern kann. Denn nur dann schenkt er der Drucksache seine Aufmerksamkeit. Welche Kriterien gibt es für zeitgemäßes Gestalten und was sind wichtige Trends?
Design und Textbotschaft sind schwer voneinander zu trennen, weil sie einen kommunikativen Gesamtzusammenhang bilden, der unterbewusst wirkt. So ist es beispielsweise kaum sinnvoll, die Form einer Überschrift von ihrer Aussage zu trennen. Je nach Schriftart, wird die Aussage unterschiedlich wahrgenommen. Das heißt die Schriftform alleine repräsentiert schon einen Inhalt. Zum Beispiel:
Design als Informations-Management
Ein Designer befasst sich also nicht nur mit einer Formensprache, sondern er sucht die passende Form für einen Inhalt. Er soll den Inhalt durch sein Design interessanter machen – zielgruppengerecht zugespitzt und aufmerksamkeitsstark. So betrachtet ist der Print-Designer ein Stratege des Visuellen, der
- Themen,
- Inhalte,
- Absichten seines Auftraggebers und
- Bedürfnisse des Adressaten seines Mediums
durchdringt und versteht. Manch ein Designer würde als sein Hauptanliegen ansehen, „gut“ zu gestalten. „Gut“ kann aber Verschiedenes bedeuten. Begreift man einen Gestalter als Manager der Informationsvermittlung lassen sich drei Dimensionen des guten Gestaltens ausmachen:
1. Schönheit und Ästhetik für mehr Zugänglichkeit
Hier geht es um Konsumierbarkeit und Eingängigkeit der zu vermittelnden Informationen. Dem Betrachter soll gefallen, was er sieht. Dabei definieren unterschiedliche Zeiten „Schönheit“ anders. Zwei Beispiele:
- Jugendstil: Um die Jahrhundertwende von 1900 war der Inbegriff von Schönheit in Illustration und Gestaltung der sogenannte Jugendstil, der viel mit floralen Elementen aus der Natur arbeitete: Blüten, Blätter oder verschlungenes Astwerk bildeten oft ein illustratives Geflecht mit idealisierten Darstellungen von Menschen.
- Techno-Design: Ein Jahrhundert später, um 2000, waren das Schönheitsideal und seinen Darstellungsformen viel technoider geworden. Die Naturdarstellungen oder Verzierungen des Jahrhunderts zuvor waren längst abgelöst von sachlicheren und geometrischen Darstellungsformen.
2. Ergonomie und Benutzerführung für visuellen Komfort
Hier stehen der Leser oder Betrachter und sein positives Gefühl im Mittelpunkt. Das Blättern durch eine Broschüre etwa bzw. die Augenbewegung auf der Seite eines Flyers von der Überschrift über das Foto bis hin zum Informationstext sollte schnell und lesefreundlich funktionieren. Das unterscheidet sich aber je nach Umfang der Drucksache:
- Schnelligkeit: Bei funktionalen Sachtexten sollte die Schnelligkeit die Informationsaufnahme begünstigen.
- Lesefreundlichkeit: Bei langen Texten in Printmedien wie Zeitschriften, umfangreichen Broschüren, Katalogen und Büchern sollte die Informationsaufnahme lesbar und augenschonend gestaltet werden.
Vergleichbar wäre das mit einer Autofahrt durch eine fremde Stadt: Jemand, der –während er in seinem Auto fährt – nicht weiß, wo er sich befindet und wie er weiterfahren soll, ist verunsichert. Der Designer ordnet und gestaltet Informationen so, dass sich die Zielgruppe wohl fühlt, auch weil sie sich schnell zurechtfindet. Das kann aber je nach Adressat sehr Unterschiedliches bedeuten:
- Eine ältere Zielgruppe mag sich nach Einfachheit und Übersichtlichkeit sehnen.
- Eine jüngere Zielgruppe kann sich in der Wildheit oder Unübersichtlichkeit durchaus ebenso wohl fühlen, wenn es zu deren Lebensgefühl gehört.
3. Aufmerksamkeit schaffen durch Klarheit und Prägnanz
Etwas zu gestalten, bedeutet, Schwerpunkte zu setzen. Das Wesentliche soll schnell zu erkennen sein, nachrangige Informationen werden auf den zweiten Blick wahrgenommen. Um dies zu erreichen, ist Deutlichkeit durch Klarheit erforderlich. Auch dies ist relativ zu verstehen, weil sich die Ausprägung dieser Eigenschaften nach den Bedürfnissen der Zielgruppe richten. Für eine junge Zielgruppe können die Faktoren „Lebendigkeit“, „Dynamik“ oder „Chaos“ der Gestaltung den Faktor „Klarheit“ überlagern. Ebenso kann inhaltlich eine Doppeldeutigkeit oder Mehrdeutigkeit zielgruppenaffin witzig wirken und eine emotionale Bindung zum Betrachter erzeugen.
Voraussetzungen für zeitgemäßes Gestalten
Zielgruppengerechtes Gestalten
Die Motivation einer Zielgruppe, eine Werbebotschaft und Information aufzunehmen, ist ungleich größer, wenn Design und Bildsprache in ihrer Lebenswirklichkeit verortet sind. Deshalb haben Bildsprache und Design-Stilistik zwei Aufgaben:
- eine Botschaft verdeutlichen und
- Identifikation schaffen.
Eine Gestaltung kann noch so kongenial einen Inhalt visualisieren, wenn sie nicht auch Identifikation ermöglicht, wird sie eine hohe Verweildauer beim Lesen nicht erreichen. Viele Designer sind dazu übergegangen, Identifikation vor allem durch eine originelle Bildsprache bzw. Kreation einer Bildwelt zu erreichen. Dabei bleiben die Faktoren
- Zielgruppen-Orientierung,
- Bildkonzeption und
- Farbwirkung
Dauerthemen, die ständig überdacht werden müssen. Das wichtigste Ziel ist das Wecken von Aufmerksamkeit beim Betrachter, der vielen Informationen ausgesetzt ist und deshalb selektieren muss.
Design-Kreation und Desgin-Mix
Eine Herausforderung heutigen Gestaltens beschreiben Begriffe wie „Design-Mix“ oder „Retro-Design“, inzwischen auch „New-Retro-Design“ genannt. In den Anfangstagen des Designs hatten sich klar voneinander abgegrenzte Stile entwickelt.
- Design der Einfachheit: Dazu gehörte zum Beispiel das Schweizer Grafik-Design, das puristisch und konstruktivistisch war. Es hat mit großen Freiräumen visuelle Spannung geschaffen, mit geometrischen Formen gearbeitet, und man sah dem Design seine rationale Ausrichtung an. Der Designer war hierbei zugleich ein systematischer Denker.
- Design der Expressivität: In den 1970er-Jahren entstand analog zur Punkmusik ein wildes, expressives Grafik-Design, das Emotionalität ausstrahlte und für das Klarheit weniger wichtig war.
- Design des Chaos: Die Technoszene der 1980er- und 1990er Jahre favorisierte eine überladenes, schlecht lesbares Editorial- und Print-Design, das zu heftigen Kontroversen zwischen Gestaltern alter Schule und jungen Designern führte. Ein Akteur dieser Zeit war der Gestalter David Carson, der seine collagenhaften Layouts visuell verfremdete. Sein Bezugspunkt war ein dekonstruktivistisches Design, das mit allen Gewohnheiten der Lesbarkeit brach und etwas Punk, etwas Dada und eine wilde Bildsymbolik enthielt.
- Design des Kunstanspruchs: Ein Designer wie der Österreicher Stefan Sagmeister, der in New York arbeitet, hat ab den 1990er-Jahren „Design“ mit „Kunstanspruch“ kombiniert. Er erzeugte damit eine spezifische Bildwelt, die Aufmerksamkeit brachte. Das erinnert an den Pop-Art-Künstler Andy Warhol, der in den 1960er-Jahren als Grafik-Designer begonnen und etwa das Zungen-Key-Visual der Rolling Stones entworfen hatte. Später wurde er zu einem weltberühmten Künstler, der sich in seiner Kunst der Mittel des Grafik-Designs bediente.
Medien-Design und seine technischen Möglichkeiten
Grundlage des Designs ist auch, welche technischen Mittel zur Verfügung stehen. Heute lässt sich am Bildschirm fast alles Denkbare realisieren, die technischen Möglichkeiten des Desktop-Publishing bzw. Gestaltens am Bildschirm haben dem Designer einen Werkzeugkasten nahezu unbegrenzter gestalterischer Möglichkeiten an die Hand gegeben. Jede neue besondere Funktion einer Software wird von Designern genutzt und setzt oft genug Trends. Das waren in den Anfangstagen modernen computergestützten Designs ab dem 1980er-Jahren etwa die Manipulation und Verzerrung von Schriften, später bestimmte Bildmanipulationen.
Was ist zeitgemäßes Gestalten und wie wichtig sind Trends?
Inzwischen scheinen zahlreiche Design-Stilistiken durchdekliniert und variiert zu sein. Seit den 1990er-Jahren ist das Phänomen zu beobachten, dass Neues zunehmend durch die Kombination aus Versatzstücken alter Design-Trends entsteht. Denn es ist schwieriger als früher geworden, etwas zu schaffen, das es noch nicht gab – einfach weil bereits so viel an unterschiedlichen Design-Stilen vorhanden ist. Das hat bei Gestaltern zu einer Verunsicherung geführt, was eigentlich „modernes Designen“ bedeutet.
Das Neue ist der Feind des Alten: Das Alte kennt jeder, deshalb wird das Alte schnell langweilig. Das Gewohnte besitzt jedoch einen Wohlfühlvorteil, weil man es kennt, aber es schafft keine Aufmerksamkeitswerte. Das Prinzip des Neuen ist ein Abweichen vom Standard, um aufzufallen. Aber wie fällt man positiv auf? Und wie gewinnt man den Wettlauf um die Aufmerksamkeit der potenziellen Kunden? Nachfolgend eine Übersicht, welches visuelle Repertoire für einen Designer interessant und zeitgemäß sein könnte.
1. Bildmanipulation: Nach dem Fotografieren ist vor der Bildbearbeitung
Längst ist der Standard in der mobilen Selbstdarstellung nicht mehr das Wort sondern das Bild – etwa als gefiltertes oder bearbeitetes Foto bei Instagram. So sind durch Filter, Farben und diverse Bildbearbeitungs-Techniken gegenüber früher neue Bildwelten auch im Print-Bereich entstanden. In ihren Extremen kann dies einerseits künstlich und unnatürlich wirken, andererseits aber auch neu und aufregend. Immer neue Software-Funktionen machen die Bildmanipulation einfacher und weitreichender. Das mit neuen Tools gestalterisch veränderte Bild – ob als Foto oder Illustration – bleibt ein Dauertrend. Die aktuelle Photoshop-Version beispielsweise, erlaubt es, Gesichtsausdrücke schnell per Schieberegler zu ändern.
2. 3D-Grafiken/Isometrie: Räumlichkeit realistisch oder abstrahiert
Dreidimensionale Illustrationen und isometrische Darstellungen zeigen sich das Gegenteil voneinander:
- Die 3D-Darstellung betont Räumlichkeit und Dimensionierung. Ihr Bestreben ist es, damit den Eigenschaften der realen Welt näher zu kommen.
- Die isometrische Zeichnung verzichtet dem gegenüber bei ihrer Räumlichkeit auf perspektivische Verkürzungen und Fluchtpunkte. Sie geht damit in Richtung visueller Abstrahierung und einer eher technischen Anmutung.
Im Grafik-Design gibt es oft einander widersprechende Trends, die parallel bestehen können. Ein Trend gerade seit dem Jahrtausendwechsel ist die Gestaltung dreidimensional wirkender Zeichen, Schriften oder Fotografiken. Mit 3D-Programmen war es möglich, relativ leicht Räumlichkeit zu erzeugen. Inzwischen ist die fotorealistische 3D-Grafik überholt, die Techniken der dreidimensionalen Darstellung sind aber in Illustration und Grenzbereichen zur Kunst weiterhin Teil des Neuen. Die Palette reicht von fotorealistischen Darstellungen, wie man sie aus Computerspielen kennt und geht bis zu Karikaturen. Die isometrische Darstellung wirkt dem gegenüber in ihrer selbstgewählten Reduktion der Mittel fast wie eine Karikatur des 3D-Realismus oder hat etwas Kindlich-naives oder Technisch-mathematisches. Beide Richtungen – 3D und Isometrie – sind Repräsentanten wichtiger Gestaltungsansätze nicht nur in Illustration, bei Infografiken oder Layouts.
3. Storytelling: Das Unternehmen in Form einer Erzählung
Medien-Design kann man als visuelles Geschichtenerzählen verstehen. Diese Geschichten sollen ein Image formen. Das (analoge) „Storytelling“ im Printbereich ist etwas Anderes als das (digitale) „Scrollytelling“ in der Web-Kommunikation. Bei der Webgestaltung war von Anfang an die Strukturierung von Inhalten der ausschlaggebende Faktor, weil mit dem Grad der Strukturierung die Benutzerführung steht und fällt. „Storytelling“ im Printbereich bedeutet:
- Im Rahmen von Geschichten erinnert man sich besser an Inhalte,
- sie ermöglichen eine Identifikation und
- werden z.B. in Form von Empfehlungen weitergereicht oder weitererzählt.
Als Imagefaktoren tragen Geschichten zur Einordnung einer Marke bei oder existieren mit langer Verweildauer als abrufbare Erinnerungen in den Köpfen der Leser und Betrachter. Storytelling war in den letzten Jahren ein zentraler Betriff auch für die visuelle Kommunikation. Der Trend, visuelle Kommunikation unter dem Blickwinkel übergeordneter Erzählbögen zu betrachten, hält an.
4. Weniger ist mehr: Mut zur Fokussierung
In Wirklichkeit geht es beim Minimalismus nicht vordergründig um ein „Weniger“. Es geht um mehr Konzentration, in deren Folge erst alles Unwichtige wegfällt. Immer schon galt, dass zu viel Information nicht verarbeitet werden kann. So hat sich Print-Werbung in ihren Anfangstagen auf die Kombination von Bildern mit kurzen oder mittellangen Lese-Texten konzentriert. Im Verlauf ihrer Geschichte wurde dies immer weiter verdichtet, bis oft nur noch ein großformatiges Bild mit einer Überschrift übrigblieb.
Aufgabe des Print-Designs innerhalb eines Kommunikations-Mix’ ist es, im realen Alltag Präsenz zu zeigen, während die virtuelle Welt verschwindet, wenn der Bildschirm aus ist. Konzentration auf das Wesentliche ist zugleich eine Denkaufgabe. Denn zu überlegen, was wichtig und was verzichtbar ist, ist die zentrale strategische Frage jeder Kommunikation. Da aber etwas wegzulassen, oftmals ein Politikum ist, weil man es instinktiv jedem Recht machen will, erfordert eine systematische Reduktion im Design-Prozess Mut – denn hinter der Einfachheit kann die Langeweile lauern. Gekonnte Reduktion jedoch ist spannend. Ein „Weniger ist Mehr“ hat z.B. zum Dauertrend „New Retro“ geführt, der in verschiedenen Design-Disziplinen die Vorzüge des Althergebrachten betont. Der Grad der Konsequenz bei dieser Herausstellung überkommener Stilistiken ist dabei das Neue. Vergangene Designs zu revitalisieren, hat Charme und ist auf lange Zeit hinaus tragfähig, allerdings ist es nicht für jeden Kunden geeignet. Auch das Flat Design, über das wir berichteten, zählt zu den minimalistischen Design-Konzepten mit langer Geschichte.