Das Ideal des Medien-Designs ist eigentlich klar definiert: „Weniger ist mehr“. Dies folgt der Notwendigkeit, dass man als Medien-Designer die Wahrnehmung seiner Zielgruppe nicht visuell verlangsamen sollte – durch zu viele Einzelelemente, zu viele Farben, zu viele Schriften. Eine sinnvolle visuelle Hierarchisierung durch Prioritätenbildung und Strukturierung kann zwar auch relativ viele Gestaltungselemente noch in einer gut wahrnehmbaren Komposition vereinigen. Aber die Königsdisziplin scheint es zu sein, mit vergleichsweise kleinem Aufwand viel zu erreichen.
Geht das noch in einer Gesellschaft der Hyper-Kommunikation, in der alle medialen Kanäle längst überfrachtet sind? Wer würde noch etwas wahrnehmen, wenn man visuell nicht besonders laut schreien würde? Aber was wäre dieses laute Schreien? Der maximale Einsatz aller visuellen Mittel? Oder nicht doch ein stilistischer Minimalismus, der durch Klarheit und schnelle Wahrnehmbarkeit überzeugt? Reduktion der Mittel ist eine Antwort. Aber im Medien-Design und in der Werbegrafik existieren verschiedene Stile nebeneinander – überladene, die auf den zweiten Blick wirken, genauso wie minimalistische. Man kann von einem Nebeneinander von „Minimalismus“ und einem gegenteiligen „Maximalismus“ sprechen.
Visueller Maximalismus: Mehr Farben, Formen und Elemente
Der Maximalismus vereinfacht die Formensprache nicht, sondern reichert sie an. Er verwendet mehr Einzelelemente, malt illustrativ lieber, als dass er zeichnet – und wenn er zeichnet dann realistischer und detailreicher als etwa im Flatdesign üblich. Der Betrachter soll durch ungewohnte Reize überrascht werden. Die Logik dahinter: einfache Grundformen sind in der Kommunikation zu kühl und wenig spannend. Die Lösung des Maximalismus liegt in einem Mehr an Reizen: deutlichere Farben, verschränkte Formen, mehr Emotionalität.
Für den Designer bedeutet dies, ein Bewusstsein dafür zu entwickeln, was man minimalistisch weglassen kann oder was man maximalistisch hinzufügt, um die angestrebte Wirkung zu erreichen.
Wie funktioniert Aufmerksamkeit?
Der Grund dafür, warum die Formel „Weniger ist mehr“ zwar ihre Berechtigung hat, aber nicht immer funktioniert, ist im Mechanismus der Aufmerksamkeit begründet. Aufmerksam wird man vor allem dann, wenn man etwas Ungewohntem begegnet, etwas Neuem, Andersartigem, Besonderem. Würde man in einer Welt des ausschließlichen Minimalismus leben, würde dieser schnell zur Normalität werden und er würde, weil er gewohnt und verinnerlicht ist, niemanden mehr interessieren.
Das heißt nicht, dass jede visuelle Besonderheit auch sofort als positiv wahrgenommen wird. Aber Gewohnheit ist über kurz oder lang Gift für die Aufmerksamkeit. Andererseits: Im Gewohnten fühlt man sich eher zuhause.
Um eine eigene Antwort auf diese Anforderungen zu finden, sollte der Mediengestalter nicht nur ein guter Designer sein, vor allem muss er ein Empfinden dafür entwickeln, was seine Zielgruppe positiv herausfordernd finden könnte. Wirksames Design beruht darauf, dass man schwer fassbare gesellschaftliche Schwingungen und Strömungen wahrzunimmt, auf die man mit seinen Entwürfen reagiert.
Minimalismus und Prägnanz
Minimalismus ist dann interessant, wenn Formen-Reduktion sich in den Dienst größerer Ausdruckskraft stellt. Anstatt 10 Seiten Text zu schreiben, den niemand lesen würde, platziert man in der Werbeanzeige einen einzelnen Satz groß – gut wahrnehmbar und eindrücklich. Für die einzelnen Bereiche im Medien-Design bedeutet diese Reduktion zum Beispiel:
- Illustration: Weniger Striche und mehr Flächen verwenden
- Typografie: nur zwei Schriften miteinander kombinieren
- Fotografie: Kein Wirrwarr an Bildelementen, klare Größenunterschiede
- Proportionen: eine Grundkomposition mit einer überschaubaren Anzahl an Varianten
- Farben: Zwei Farben kombinieren, die miteinander harmonieren bzw. sich kontrastieren
Qualität und Quantität im Medien-Design
Macht man sich über den Design-Entwurf grundsätzlicher Gedanken, geht es um die Qualität der Komposition aber auch um die Quantität der verwendeten Gestaltungselemente. Also etwa:
- Wenige einfache Gestaltungselemente oder ein hoher Detaillierungsgrad?
- Formatfüllend gestalten oder Freiräume lassen?
- Ein großes Bild anstatt mehrerer kleiner?
Die Wirkung des Gesamtentwurfes führt zu der Frage, ob man visuelles Understatement betreiben will oder nicht. Wer mit seinen Gestaltungselementen sparsam umgeht, kann behaupten, in der visuellen Ruhe läge die eigentliche Ausdruckskraft. Allerdings nur, wenn sie wirklich originell ist.
Zielgerichteter Design-Maximalismus
Dem gegenüber muss Maximalismus aber nicht gleichbedeutend mit „Ungerichtetheit“ und „visuellem Chaos“ sein. Es ist möglich, eine komplexe Bildmotivik einzubinden, wenn das Auge dabei geführt wird und die Grundformen schnell erfassen kann. Einige Beispiele:
- Aus Klein wird Groß. Sind mehrere kleine Bildelemente an eine große Grundform gebunden, kann das Motiv gut wahrgenommen werden, weil es eine Hierarchie zwischen der Größe des Hauptelementes und den beigeordneten Einzelelementen gibt. Das kann selbst für typografisch vielfältig und wechselhaft gestaltete Motive gelten.
- Klein verschwindet in Groß. Bilden viele kleine Elemente eine überproportional große visuelle Einheit, wird diese in ihrer Gesamtheit wahrgenommen, nicht in ihren typografischen Details. Der Maximalismus kann bezüglich seiner Gesamtform wieder in einen Minimalismus münden.
- Verlangsamende Komplexität. Ist dies nicht der Fall und ist die Gestaltungsfläche ohne Verweilpunkte vollständig ausgefüllt, entsteht eine relative Orientierungslosigkeit. Der Betrachter muss mehr Zeit investieren, um die Gesamtform wahrnehmen zu können.
- Zielgruppengerechte Gestaltung. Allerdings kann ein visueller Maximalismus ganz bewusst eingesetzt werden – je nach der visuellen Zumutung, mit der man die Zielgruppe konfrontieren kann. Das Sonderangebots-Plakat des Supermarktes hätte dafür die falsche Zielgruppe, eine Kunstgalerie, die zu einer Vernissage einlädt, die richtige.
Ruhe und Dramatik
Ein klassisch geschulter Grafik-Designer setzt beim Editorial-Design für Broschüren, Zeitschriften oder Bücher Freiflächen ein, auf denen das Auge ausruhen kann. Hierbei wäre die Komposition reduktionistisch oder minimalistisch. Andere Designer arbeiten zielgruppenaffin etwa mit Fotohinterlegern, und bedienen sich damit eines Konzeptes des erhöhten oder maximierten Einsatzes von Bildelementen.
- Der Minimalismus bringt Ruhe und Übersichtlichkeit,
- der Maximalismus Dynamik und Dramatik.
Strategien gegen Informations-Inflation
Die visuelle Überreizung, mit der der Rezipient gerade in Großstädten und sowieso medial konfrontiert ist, ist im Kern eine Informations-Inflation. Denn die einzelne Information ist immer weniger wert, wenn sie flüchtiger wahrgenommen wird. Intensiv wird wahrgenommen, was aktiv interessiert, was sich an der aktuellen Bedürfnislage des Rezipienten orientiert. Wer jemanden auf etwas aufmerksam machen und damit ein Bedürfnis erzeugen will, muss Signale und Reize zielgruppen-adäquat senden, damit sie die Aufmerksamkeit anregen. Mittel dazu kann grundsätzlich beides sein: wenig oder viel visuelle Information.
Die Hegelsche Dialektik im Design
Das geschilderte „Entweder/Oder“ des „Mehr“ oder „Weniger“ entspricht nicht dem Design-Alltag. Der Philosoph Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770-1831) ging in der von ihm geprägten „Dialektik“ davon aus, dass in den Epochen der Menschheits-Geschichte jede Phase eine gegenläufige Tendenz nach sich zieht. Man kann das beispielsweise so verstehen, dass auf eine Phase komplizierter Musik einfache Musik folgen muss.
Abfolge der Design-Stile
Man kann dies auch auf das Mediendesign anwenden: Auf den Fotorealismus des Skeuomorphismus etwa bei den App-Icons der ersten iPhones folgte eine Abstraktion der Darstellungen – sowohl flächig als auch linear. Man könnte also behaupten, dass deutliche Design-Tendenzen, die in eine bestimmte Richtung weisen, fast zwangsläufig gegenläufige Design-Auffassungen provozieren. Also etwa:
- vom Einfachen zum Komplexen,
- vom Einfarbigen zum Mehrfarbigen,
- vom Aufgeräumten zum Chaotischen – und zurück.
Hegels Dialektik schließt aber mit ein, dass die Extreme, also beispielsweise Ornamentales und Flatdesign, sich quasi aufheben bzw. ineinander übergehen und in dieser Synthese eine Zwischenform bilden. Im Medien-Design bedeutet das, dass es nicht die eine Ausschließlichkeit gibt, also nicht „extreme Einfachheit“ oder „extreme Komplexität“, sondern zahllose Lösungen, die die Vorteile beider Auffassungen in sich vereinen.
Was sind die Vorteile des minimalistischen Gestaltens?
Ein Medien-Designer ist nicht nur ein Ästhet, der ansprechende Formen entwickelt, sondern auch ein Informations-Ökonom, dessen Werk kommunizieren soll. Ein Ziel des Gestalters ist es zum Beispiel, die Verweildauer bei Werbeanzeigen zu steigern. Übrigens war der Begriff der „Verweildauer“ schon vor dem Erstarken des Internet bei gedruckten Werbeanzeigen entscheidend. Dazu gehören auch Fragen wie:
- Welches Element ist der aufmerksamkeitsstarke „Hingucker“?
- Wie schnell findet ein Betrachter den Zugang zur Botschaft?
- Wie gut kann er sich orientieren?
- Wie wird sein Blick geleitet?
Der Designer hat die Aufgabe, die zu vermittelnden Inhalte in Zusammenarbeit mit dem Texter optimal aufzubereiten und dabei die Informationsaufnahme dramaturgisch zu organisieren.
Was heißt Einfachheit im Medien-Design?
Einfachheit ist ein Mittel, dies zu erreichen. Übersichtlichkeit, Ruhe, Prägnanz und Klarheit gehen mit minimalistischer Gestaltung einher. Im Medien-Design hat das verschiedene Ausprägungen:
1. Einfachheit von Zeichen, Symbolen, Logos oder Key-Visuals
Symbolformen, die wie Firmenlogos in unterschiedlichen Größen abgebildet werden, sollten möglichst kompakt sein. Gerade kleine Abbildungsmaßstäbe verlangen nach Formen-Reduktion, weil etwa auf Visitenkarten zu detaillierte Formen kaum rezipiert werden können. Zeichen und Symbole tauchen oft in der Kommunikation auf und müssen über ihre Reiz-/Reaktions-Mechanik einen Effekt auslösen. Auch große Abbildungsmaßstäbe etwa von Firmenlogos auf Leuchtreklamen oder auf Großwerbeflächen haben eine Verwandtschaft zur Wirkung von kleinen Abbildungsgrößen. Denn diese Großlogos werden oft in der Bewegung aus dem Auto heraus und aus der Ferne wahrgenommen. Dabei sind Details in kurzen Wahrnehmungsspannen nur erschwert wahrzunehmen.
Man kann die Korrelation zwischen Wahrnehmung und Formen-Vereinfachung je nach Situation wie folgt in eine Formel bringen:
Ein kurze Wahrnehmungs-Zeitspanne
+ große Entfernung oder
+ kleine Abbildung oder
+ Betrachten aus der Bewegung heraus
= zieht die Notwendigkeit der Vereinfachung nach sich.
2. Einfachheit in der Fotografie
Auch in der Fotografie gibt es Mittel, um motivische Prioritäten zu setzen. Wesentliche Motiv-Elemente im Foto müssen schnell erkannt werden. Für mehr Aufmerksamkeit sorgen HDR-Fotografie, der Einsatz von Filtern, Bildmanipulationen, Foto-Composings und Foto-Collagen. Vereinfachende Mittel sind:
- Freisteller: So wird in der Werbung oft mit figürlichen Freistellern gearbeitet. Das Hauptmotiv, eine Person oder nur ihr Gesicht, wird dabei vor einen weißen oder einfarbigen Hintergrund gestellt.
- Unschärfe: Motiv-Isolation lässt sich auch über Unschärfen des Hintergrundes erreichen.
- Ebenen: Vordergrund und Hintergrund werden bezüglich ihrer Größenverhältnisse deutlich voneinander abgegrenzt.
- Farben: Einen ähnlichen Effekt bringt eine unterschiedliche Farb-Anmutung in Vordergrund und Hintergrund, etwa der Einsatz warmer Farben im Vordergrund und kalter im Hintergrund.
- Einzelelemente: Die Anzahl und Komplexität abgebildeter Formen wird im Sinne der Übersichtlichkeit reduziert.
- Prägnanz: Posen und Mimiken sind eindeutig und oft überdramatisiert.
Vereinfachung im Medien-Design ist aber nur die halbe Wahrheit. Denn wenn es ausschließlich um Reduktion und Einfachheit ginge, würden beispielsweise keine Fotos eingesetzt werden, sondern nur noch einfache Zeichen und Symbole. Doch der Realismus der Fotografie entfaltet eine andere emotionale Ansprache und ist so identitätsstiftender.
Der Fotograf Martin Schoeller war beispielsweise durch seine Prominenten-Portraits bekannt geworden, die er mit einer Großformatkamera aufnahm. Sein Werk aus dieser Phase ist geprägt durch Freisteller vor weißem Hintergrund – das ist Minimalismus pur.
3. Einfachheit beim typografischen Gestalten
Beim typografischen Gestalten gibt es zahlreiche Regeln, die eine Vereinfachung zur Folge haben. Dazu gehört idealerweise der Einsatz von nur
- zwei Schriftarten und
- zwei Schriftgrößen (eine für Überschriften, eine für den Fließtext) sowie
- zwei bis drei Schriftschnitten (Regular-Schnitt für Mengentext, Kursiv-Schnitt für Hervorhebungen, Bold-Schnitt für Zwischenüberschriften).
Einfachheit im Editorial-Design bedeutet also die Reduktion der Mittel auch im kleinsten Detail. Dazu gehören auch gleiche Bildproportionen mit vereinheitlichten Abständen, die über ein Typoraster definiert werden können.
Komplexität bei der typografischen Gestaltung
Wo der Minimalismus die Möglichkeiten der Schriftanwendung bewusst einengt, weitet der Maximalismus Möglichkeiten aus: mehr Schriftarten, -Schnitte oder -Größen bringen einen anderen typografischen Ausdruck. Dazu gehört auch die organische Einbindung von Bildelementen durch Formsatz, wobei der Text die Bildelemente figürlich umfließt.
Die Gestaltung muss dadurch nicht zwangsläufig unübersichtlich werden aber die Anforderungen an den Ordnungssinn des Designers steigen, je mehr der Maximalismus ausgeprägt ist. Münden kann diese Auffassung des „Mehr“ in seiner extremsten Form in einen Dekonstruktivismus, der das herkömmliche Schriftbild und seine Struktur zerlegt und neu zusammensetzt.
Einfachheit ist kompliziert
Es ist schwieriger und zeitaufwendiger, im Minimalismus originell zu sein als im Maximalismus. Das liegt daran, dass zahlreiche zu einfache Formen und Darstellungsweisen visuell längst durchdekliniert sind. Ein gestalterisches, fotografisches oder illustratives Mehr, das mit spezifischen Details als eigener Handschrift arbeitet, hat es da leichter, etwas Unverwechselbares zu schaffen.
FAZIT: Fragen, die sich ein minimalistischer Designer stellt
- Effektivität: Mit welchem geringsten Aufwand kann ich den größten Effekt erzielen?
- Ökonomie: Was kann ich weglassen anstatt etwas hinzuzufügen?
- Eindeutigkeit: Was kann ich vereinfachen, um Kompliziertes durchschaubarer zu machen?
- Klarheit: Kann sich der Betrachter in der Drucksache gut orientieren?
Der Minimalismus ist eine Antwort auf zu viele Reize. Sein Ziel ist die visuelle Neuorientierung durch Weglassen von allem Verzichtbaren. Dem gegenüber erscheint der Maximalismus als Ode an den ästhetischen Genuss, der dazu einlädt, länger bei einem Bild oder einer Gestaltung zu verweilen.