Noch nie war es so interessant wie heute, digital zu illustrieren. In der ersten Folge unserer Serie „Digitale Illustration“ ging es um die Unterschiede zwischen manuellem und digitalem Illustrieren. Folge zwei behandelt nun die Illustrations-Software. Welche ist am leistungsfähigsten? Welche profitiert von den Fähigkeiten von Tablet-PCs wie dem iPad Pro?
Jedes Illustrations-Programm hat meist eine Spezialisierung. So ist „Gimp“ zum Beispiel ein Bildbearbeitungs-Programm, mit dem man auch illustrieren kann. Oder „Corel Painter“ hat ausgefeilte Fähigkeiten für das natürlich anmutende Malen entwickelt – verfügt im Bereich der Bildbearbeitung dafür aber über weniger Stärken.
Schwerpunkte der Illustrations-Software
Es geht bei den Pluspunkten von Programmen aber nicht nur um Funktionen. Software für Apples iPad Pro hat sich vor allem über die Gestaltung des User-Interfaces hervorgetan: Dies vereinfacht und beschleunigt die Handhabung der Funktionen. Manchmal ist ein Kriterium sogar die Zielgruppe der Illustrations-Software. Nämlich dann, wenn Profis, die vorher an größeren Wacom-Tablets gearbeitet haben, für sich entdecken, was alles mit den mobilen Tablet-PCs unter „iPadOS“, „Android“ oder „Windows“ geht. Das unterstützte Betriebssystem spielt da auch eine nicht unwesentliche Rolle – mit fließendem Übergang zur Hardware. Beispielsweise gibt es „Procreate“ bisher nur für Apples „iPad Pro“. Als Eingabestift unterstützt wird nur der „Apple Pencil“ und der „Crayon“ von Logitech. Das Argument: Nur diese Hardware-/Betriebssystem-Kombination garantiere das optimale Nutzererlebnis.
Was muss eine Illustrations-Software können?
Zu illustrieren schließt nicht nur den Mal- oder Zeichenprozess mit ein, sondern Funktionen wie Maskieren, Filtern oder Bildoptimierung. Was sind darüber hinaus die Anforderungen an eine Illustrations-Software?
- Schnelligkeit: Schnelle Visualisierungen, um dem Kunden erste Entwürfe zeigen zu können, sind ein Vorteil.
- Funktionsumfang: Alles soll möglich sein, aber zu viele Funktionen führen zur Unübersichtlichkeit.
- Ergonomie: Eine intuitive Benutzerführung nutzt Fingergesten.
- Flexibilität: Pixelbasiertes und vektororientiertes Arbeiten in einem Programm wie in „Clip Studio Paint“.
- Innovation: Neue Werkzeuge kommen durch kontinuierliche Updates.
- Zusatzmaterial: Pinsel und Erweiterungen als Downloads, lehrreiche Tutorials und eine aktive Community.
- Kompatibilität: Photoshop-Pinsel oder -PSD-Ebenen-Dateien als Austausch-Standard.
Software-Arten: Komplexe und übersichtliche Software
Grafik-Programme unterscheiden sind in ihrer funktionalen Komplexität, bei der Benutzerführung und der Spezialisierung auf bestimmte Aufgaben. Illustrations-Software lässt sich so in zwei Gruppen unterteilen:
- Große Desktop-Programme mit umfassenden Funktionen, die bezüglich ihrer ganzen Bandbreite meist nur auf Desktop-PCs mit großem Bildschirm bzw. Profi-Grafik-Tablets ihre Vorteile ausspielen.
- Einfache Tablet-PC-Programme, die selbst auf kleinen Tablet-PCs mit begrenztem Platzangebot ihren Schwerpunkt auf eine intuitive Benutzerführung legen. Ihre Kernkompetenz ist das möglichst natürliche Malen und Zeichnen.
Intelligente Software und leistungsfähige Hardware
In der Vergangenheit hatte vor allem Wacom mit oft größeren Profi-Zeichen-Tablets für digitale Illustrationen den Markt dominiert. Inzwischen wissen Illustratoren auch die Mobilität der kleineren Tablet-PCs unter „Android“, „Windows“ oder „iPadOS“ zu schätzen. Wie gut die Software mit der Hardware korrespondiert, ist entscheidend für das natürliche Gefühl beim digitalen Illustrieren. Es geht es um das Zusammenspiel von
- schneller Hardware, die Striche nicht mehr verzögert darstellt,
- mit natürlicher Anmutung des Zeichnens per Eingabestift sowie
- intelligenten Funktionen der Software.
Intuitive Software muss idealerweise auf Druck, Neigung und Rotation des Eingabestiftes reagieren. Realisiert wurde das zuerst mit „Procreate“ auf dem „iPad Pro“ mit dem „Apple Pencil“ ab 2015. „Procreate“ punktete mit intuitiven Funktionen für das natürliche Illustrieren.
Programme für iPad-, Windows- und Android-Tablet-PCs
Tablet-PC-Programme arbeiten mit Eingabestift und Fingergesten und bieten meist eine Funktion zum Aufzeichnen der Arbeit als Film. Sie funktionieren schnell und einfach um den Preis eines reduzierten Funktionsumfangs. Folgende Programme bieten ein gutes „Look & Feel“ am Tablet-PC:
- Procreate: flache Lernkurve; umfassender Pinsel-Editor und Nutzung von Photoshop-Pinseln; „Hover“-Schwebe-Funktion für den Apple Pencil lässt den Pinsel(Cursor) und seine Position als Kontur vor dem eigentlichen Zeichnen erscheinen; Finger-Gesten für Pinselgröße und -deckkraft sowie für Zoomstufen während man mit der anderen Hand zeichnet; Einfärben und Füllen mit „ColorDrop“, einmal ausgewählt, braucht man zum Füllen nur noch mit dem Pencil auf Bereiche tippen; das Bemalen und Texturieren von 3D-Objekten ist vereinfacht.
- Rebelle: Stärken beim natürlichen Malen mit der besten Fluid-Media-Simulation – die Wasserfarbe fließt, je nachdem wie man das Tablet hält, immer nach unten (Windows, MacOS).
- Infinite Painter: gute Zugänglichkeit und Pinsel mit vielen Einstellmöglichkeiten; frei platzierbarer Farbwähler; neben der Zeichenfläche platzierbare Bilder als Zeichen-Vorlagen; Pinsel-Cursor kann sichtbar eingestellt werden (Android, iPadOS, iOS).
- Art Studio Pro: Mischung aus Mobil- und Desktop-Funktionalität, großer Funktionsumfang (iPadOS, iOS, MacOS, Windows).
- Fresco: Aquarell- und Ölpinsel mit natürlichen Verlaufseigenschaften; weitreichende Animations-Fähigkeiten, Kopplung von Pixelgrafik und Vektorgrafik (iPadOS, iOS, Windows).
- Sketchbook: Minimalistisches User-Interface; Spezialist für das Zeichnen; magnetisches Hilfslineal zum Zeichnen gebogener Linien; einfaches Pinseleditieren und -kreieren (Windows, MacOS, iOS, iPadOS, Android).
- Vectonator: Schnelles Vektor-Programm; Blur- und Autotrace-Funktion; komfortables Vektor-Radiergummi wie in „Clip Studio Paint“ und „Fresco“; KI-Tool für das perspektivische Einfügen der Entwürfe in Foto-Umgebungen, um deren Wirkung zu testen (iPadOS, iOS, MacOS).
- Marmoset Hexels: Innovatives Programm, das Mal- und Zeichenstriche magnetisch an gewinkelten Rastern ausrichtet; vektor- und pixelbasiert (Windows, MacOS).
Die vier großen Illustrationsprogramme
Neben den vorgenannten funktionsreduzierten Lösungen für die digitale Illustration, gibt es große Lösungen für stationäre Computer mit Profi-Zeichentablets. Über die Jahrzehnte hat sich der Markt der wichtigsten Illustrations-Software auf vier bewährte Software-Lösungen reduziert, die lange am Markt existieren.
- Corel Painter: pixelbasiertes Malen
- Clip Studio Paint: Pixel-/Vektor-Illustration für Comics
- Photoshop: pixelorientierte Bildbearbeitung
- Adobe Illustrator: Vektor-Illustration
1. Coral Painter: Erfinder des natürlichen Digital-Malens
Wo es „Photoshop“ geschafft hat, Bildbearbeitung und Illustrationstools für eine breite Anwenderschaft zu etablieren, besetzt der pixelorientierte, 1991 veröffentlichte „Corel Painter“ die Marktnische hochwertiger Digitalmalerei. Dabei ist „Corel Painter“ bei der Simulation des natürlichen Malprozesses „Photoshop“ überlegen. Einige Funktionen:
- Simulation nassen Papiers
- „Dicke Farbe“ lässt den Pinselstrich dreidimensional mit Schattierung erscheinen
- „Realistisches nasses Öl“ verwässert Ölfarbe wie bei einem Aquarell
- „Fließende Farben“ für das Malen in Schichten, inklusive Lasur-Effekten und reflektierendem Licht
- Striche können glatt oder rau eingestellt werden
- Funktionen für Film und Animation.
Fazit: Was „Photoshop“ für die Bildbearbeitung ist, leistet „Corel Painter“ unter Windows und MacOS für das natürliche Malen.
2. Clip Studio Paint: Intelligentes Malen und Comiczeichnen
„Clip Studio Paint“, das ehemalige „Mangastudio“, wird seit 2001 entwickelt. Es existiert in einer „Pro“- und einer erweiterten „Ex“-Version und ist für mehr Betriebssysteme erhältlich als seine Konkurrenz (Windows, MacOS, iPadOS, iOS, Android, ChromeOS). Ähnlich wie „Photoshop“ beinhaltet es eine übergroße Anzahl an Funktionen. Seine Spezialisierung liegt in der teureren „Ex“-Version bei der Illustration und Gestaltung von mehrseitigen Comics. „Clip Studio Paint“ bietet zum Beispiel:
- Pixel- und Vektor-Pinsel, umfassender Pinseleditor, Nutzung von Photoshop-Pinseln und PSD-Ebenen
- Radierer auch für Vektor-Grafik
- Perspektiv-Rastertool, bei dem Linien an die gekrümmten Hilfslinien etwa der Fischaugen-Perspektive springen
- Flexibles und anpassbares Nutzerinterface
- Automatisches Kolorieren oder Schattieren
- 3D-Gliederpuppe als anpassbare Vorlage, um Menschen, Tiere und Objekte aus verschiedenen Perspektiven zu zeichnen
- Linienführung mit integrierter Stabilisierungsfunktion wie in „Procreate“, „Photoshop“, „Adobe Illustrator“
- bis 10.000 Ebenen mit Ebenenmasken und Ebeneneffekten
- Bibliothek für Sprechblasen, Panel, Aktionslinien und Seitenlayouts für Comics
- Teamwork-Einstellungen für mehrere Nutzer
- Weltweite Community mit Tipps, Tutorials, Pinselsets und Materialien
- Animationen
Fazit: Kein anderes Programm hat seine Funktionen so sehr auf die Bedürfnisse von Illustratoren mit hohem Durchsatz angepasst wie „Clip Studio Paint“.
3. Adobe Photoshop: Der verlässliche Allrounder
Entstehungsgeschichte: „Photoshop“ wurde als pixelorientierte Bildbearbeitung für Fotoretusche und Fotomanipulation 1990 veröffentlicht. Da „Photoshop“ zum Marktführer für Digital-Illustration wurde, erhielt das Programm immer mehr Funktionalitäten. So sind die „Photoshop“-Pinsel mit ihrem „ABR“-Datenformat oder das „PSD“-Format der Photoshop-Ebenen zum Branchen-Standard avanciert. Wenn Photoshop nicht für das Illustrieren genutzt wird, dann für die Optimierung, Retusche oder Farbkorrektur von Bildern. Einige Funktionen:
- Pinsel: Die große Bibliothek digitaler Pinsel, eine unüberschaubare Anzahl hinzufügbarer Pinsel und die Veränderbarkeit der Pinsel sind Photoshops Markenzeichen.
- Filter: Es gibt eine umfangreiche Filter-Bibliothek, etwa den „Verflüssigen“-Filter, mit dem man Bildformen frei und intuitiv verändern kann.
- Vektorgrafik: „Photoshop“ verfügt über ein einfaches Vektor-Zeichentool.
Die Vorteile: „Photoshop“ ist eine robuste, hardwarehungrige Software. Eine vorausschauende Produktpolitik hat das Programm über die Bildbearbeitung hinaus für die Bereiche „Print“, „Web“ und „Illustration“ fit gemacht. Deshalb gibt es keine vergleichbare Software als Anlaufstelle für unterschiedlichste Belange im Medien-Design.
„Creative-Cloud“-Programme: Adobe bietet mit seiner „Creative Cloud“ Software für das Medien-Design, in die „Photoshop“ zentral eingebunden ist. Für den Druckbereich bildet „Photoshop“ mit „Illustrator“ als Vektorgrafik-Programm und mit „InDesign“ für das Seitenlayout eine Grafik-Suite.
„Creative-Cloud“-Anbindung: „Creative Cloud“ meint auch eine kollaborative Arbeitsweise. In der Cloud kann man Dateiversionen speichern, zwischen Geräten synchronisieren oder mit Kunden austauschen. In der Social Community „Behance“ diskutiert man seine Arbeiten.
Adobe Bridge: Über „Bridge“ kann man aus „Photoshop“ heraus auf alle auch in anderen Adobe-Programmen erzeugten Dateien zugreifen, was den Austausch erleichtert.
Fazit: „Photoshop“, das Schweizermesser:
- stabil
- überragende Pinselbibliothek und Pinsel-Anpassungen
- Die Community profitiert von etwa 10 Mio. Nutzern
- Läuft unter Windows und MacOS; mobil und online als funktionsreduziertes „Photoshop Express“
4. Adobe Illustrator: Vektor-Illustration up-to-date
So wie „Photoshop“ für Pixelgrafiken ist „Illustrator“ das Profi-Werkzeug für Vektorgrafik. Vektorgrafik für Illustratoren ist vom Handling her weniger intuitiv. Abhilfe schafft hier die übersichtlichere Adobe-Software „Fresco“.
„Illustrator“ enthält eine umfangreiche Vektor-Pinsel-Bibliothek. Der Vorteil: Vektorpinsel lassen sich wieder aktivieren und einzeln verändern. Zwei Funktionen in Adobe Illustrator sorgen für einen einfacheren Umgang mit Vektorgrafik:
Radiergummi: „Illustrator“ bietet das Wegradieren überstehender Elemente wie bei Pixelgrafiken. Auch in „Vectonator“, „Clip Studio Paint“ oder „Fresco“ ist das möglich, und damit sind Vektorgrafiken so einfach zu radieren wie Pixelgrafiken.
Verflechten: Vektor-Elemente können nun ineinander- und umeinandergewickelt werden, um komplizierte Formen zu bilden, die vorher nicht möglich waren.
3D-Darstellung: Illustrator verfügt über 3D-Darstellungsmöglichkeiten. Zweidimensionale Formen können zu einer 3D-Form extrudiert und realistisch beleuchtet werden. Die Oberflächenstrukturen und -Muster sind einfach zu verändern.
Fazit: Einmalige Werkzeuge und Funktionen für Vektor-Illustratoren
- „Illustrator“ ist für Mac, Windows und iOS erhältlich
- Ausgefeiltes Vektor-Grafik-Programm mit 3D-Optionen und Vektorpinseln
Konkurrenz zur Creative Cloud
Als Konkurrenz zur marktbeherrschenden „Adobe Creative-Cloud“ findet man Software in zwei Bereichen:
1. Kostenlose Software
Mit den pixelorientierten Programmen
- „Gimp“ (seit 1995) und
- „Krita“ (seit 2005) sowie dem vektororientierten
- „Inkscape“ (seit 2003)
gibt es echte Kostenlos-Alternativen zu „Photoshop“ und „Adobe Illustrator“. Dabei ist Krita sogar umfassender und leistungsfähiger als viele kommerziell angebotenen Programme. (Übrigens gibt es zur Abrundung der Kostenlos-Software mit „Scribus“ auch ein Seitengestaltungs-Programm.) Die Programme sind für Windows, MacOS und Linux verfügbar.
2. Kostenpflichtige Grafik-Suiten
- Affinity bietet mit dem „Affinity Designer“ Vektorgrafik, mit „Affinity Photo“ pixelbasierte Bildbearbeitung und Malen und mit „AffinityPublisher“ Seitengestaltung. Als schnelle, moderne Grafik-Suite mit zeitgemäßen Funktionen ist die Affinity-Suite sowohl am Desktoprechner als auch mobil der Hauptkonkurrent zu Adobe (für MacOS, Windows, iPadOS) – auch preislich.
- CorelDraw-Graphics-Suite bietet alles für das Medien-Design: „CorelDraw“ erstellt Vektor-Illustration und Seitenlayouts, „Corel Photo-Paint“ ist für die Bildbearbeitung zuständig (seit 1989 für Windows, MacOS). Corel publiziert mit dem „Painter“ zudem das beschriebene Mal-Programm.
- Xara vertreibt den „Xara Designer Pro“ für Vektorillustration mit interessanten Vektorpinseln. Der „Photo & Graphic Designer“ bietet keine ausgesprochenen Malfunktionen, sondern konzentriert sich auf Bildbearbeitung, Retusche, Bildoptimierung und Bildcomposing. Weitere Programme sind „Xara Web Designer“, „Page & Layout Designer“ und „3D Maker“. „Xara Cloud“ ermöglicht mobiles bzw. kollaboratives Arbeiten (seit 1992 für Windows).
Fazit: Intelligenz und Intuition in Illustrations-Programmen
Neue Funktionen: Illustrations-Software bietet zunehmend Funktionen, die dem Menschen Arbeit abnehmen: So werden Striche automatisch begradigt oder Bögen perfekt geglättet und stabilisiert.
Software- und Hardware-Kooperation: Verbesserungen entstehen im Zusammenspiel von Hochleistungs-Prozessoren mit den Fähigkeiten von Eingabestift, Betriebssystem und Anwendersoftware.
Künstliche Intelligenz: Zunehmend intuitive und intelligente Programm-Funktionen und tatsächliche Künstliche Intelligenz läuten ein neues Zeitalter ein. Adobe hat seine Grafik- und Illustrations-KI „Firefly“ vorgestellt, die Illustrationen nach Textbeschreibungen erzeugen oder Typografie künstlerisch-illustrativ modifizieren kann. Auch sind damit automatisierte Variationen eigener Entwürfe möglich. Dies wird die Funktionalität von Illustrations-Software erheblich erweitern.
Beim nächsten Mal: Die bunte Welt der Grafik-Tablets, Pen-Displays und Eingabestifte