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Blutsverwandtschaften: Von Schriftfamilien und -schnitten.

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viaprinto-Wissen: Typografie

Blutsverwandtschaften: Von Schriftfamilien und -schnitten.

Für Desktop Publishing Programme gibt es Millionen von Schriften. Nicht alle sind gleich gut ausgebaut, manche gibt es nur in der Standardform. Wenn aber ein kursiver, ein fetter und weitere Schriftschnitte hinzukommen, erwächst aus einem Font, also einem kompletten Zeichensatz, eine ganze Schriftfamilie, deren Verwandtschaft unverkennbar ist.

Die Entstehung der Familien

In den Klöstern des Mittelalters gab es wenig Licht. Die Bücher – von Hand geschriebene Heiligtümer – wurden in der schwachen Beleuchtung einer Kerze verfasst und gelesen. Ihre Schrift musste entsprechend groß und voluminös gestaltet werden. Die Schreiber in den klösterlichen Skriptorien bedienten sich dazu der gotischen Minuskel.

Gutenberg_Bibel © viaprinto Flickr_Brandbook.de
Die Gutenberg-Bibel mit der gotischen Minuskel.

Diese Schrift wurde nicht nur für Bücher, sondern auch für Inschriften und Inkunabeln verwendet. Die aus ihr entwickelte Textura nutzte Johann Gutenberg für seinen Bibeldruck. Die erste Druckschrift war erschaffen. Sie zeichnete sich durch ihren streng geometrischen Charakter und einen gitterartigen Eindruck aus. Auszeichnungen aber wie fett oder kursiv waren mit ihr nicht möglich – und auch gar nicht vorgesehen. Erst im Laufe der folgenden Jahrzehnte experimentierten die Druckmeister mit den Schriften und gestalteten die Bleiletter immer wieder anders. Schriften wurden solange miteinander vereint, bis die sogenannte „Antiqua“ entstand, eine neue Schrift für alte Buchstabenformen, die als klar und besser lesbar empfunden wurde. Es folgte die Ausarbeitung von Groß- und Kleinbuchstaben, bis Ende des 15. Jahrhunderts die ersten Kursivschriften – „Italics“ –von den Formschneidern und Goldschmieden geschnitten und in Blei gegossen wurden. Aus ihnen entstanden im Verlauf der Jahrhunderte diverse Schriftschnitte und damit ganze Schriftfamilien.

Typografische Blutsverwandtschaften

Neben der „Antiqua“ existieren inzwischen – nicht zuletzt dank Desktop Publishing – tausende von Schriften. Eine der bekanntesten unter ihnen feiert im nächsten Jahr einen runden Geburtstag: Die „Helvetica“ wird 2017 bereits 60 Jahre alt. Sie ist wie die „Arial“ auf vielen Computersystemen vorinstalliert und erfreut sich dadurch einer großen Verbreitung und Beliebtheit. Neben der Standardausführung kann man sie in Fett, Light, Narrow und Oblique oder Kombinationen davon einsetzen. Diese Namen bezeichnen unterschiedliche Strichstärken, Laufweiten und Strichlagen ein und desselben Schriftschnitts. Zusammen ergeben sie eine Schriftfamilie – Buchstaben, die aus einer Architektur bestehen und von einem Type-Designer oder Schriftgestalter eigens entworfen wurden. Dieser modifiziert die von ihm gestalteten Zeichen so, dass zwar die typischen Merkmale des Fonts bestehen bleiben, mindestens aber neben der normalen Schrift auch die Schriftschnitte kursiv, fett und Kapitälchen existieren und eine ganze Familie entsteht, die wir gemeinhin als „Font“ oder „Schrift“ bezeichnen.

Schriftfamilien und ihre vielfältigen Bezeichnungen

2000px-Helvetica © Wikimedia_FroztbyteDoch was bei der einen Schrift Fett heißt, ist bei der anderen bold, die dritte ist wiederum black oder heavy. All das sind Namen für eine ähnliche Art der Strichstärke, also unterschiedliche Schriftstilvarianten bzw. Schriftschnitte. Das Namenswirrwarr, das hier sehr gut aufgeschlüsselt wird, ist historisch bedingt. Denn aus der „Antiqua“ entwickelten die Druckmeister zunächst lediglich eigene Kursivschriften. Sie wurden von den Schrift- und Stempelmeistern als eigenständige Lettern ausgearbeitet, die sich lediglich an das Erscheinungsbild der „Antiqua“ anglichen. Erst im Laufe der folgenden Jahrhunderte wurden die Kursivvarianten aus der Hauptschrift entwickelt, indem lediglich der Neigungswinkel, nicht aber die Buchstabenform selbst verändert wurde. Hinzu kamen in neuester Zeit fette und halbfette Stilvarianten, die sich in die Schriftfamilien eingliederten. Heute gibt es dank der stufenlosen Anpassung der Breiten am Computer in vielen Schriften große Unterschiede bezüglich der Strichstärken, Laufweiten, Breiten und Schriftlagen. Es gibt wahlweise laute (fett, halbfett) oder leise (kursiv, Kapitälchen) Auszeichnungsstile bzw. Schriftschnitte.

Verzerren ist nicht verneigen

Manche Schrift ist dabei besonders umfangreich. Zu den am besten ausgebauten Fonts zählen beispielsweise die „Linotype Synta“ von Hans Eduard Meyer sowie die legendäre „Frutiger“ beziehungsweise die „Univers“ von Adrian Frutiger. Sie alle besitzen neben dem Normalschnitt zahlreiche weitere Schriftschnitte und sind damit sehr breit einzusetzen. Insbesondere bei stark gegliederten Texten ist es nämlich mitunter notwendig, mehrere Schriftschnitte zu nutzen. Doch vor allem bei Freefonts, also kostenlosen Schriften, kann das zu einem Problem werden. Sie bestehen meist nur aus einem Schnitt, sodass die Schrägstellung (kursiv) durch das Satz- oder Textverarbeitungsprogramm gemacht werden muss. Die Neigung aber, die Schriftdesigner in ihre Schriftfamilien als Kursive anlegen – und damit komplett eigenständige Schriftschnitt erschaffen –, wird dann lediglich durch eine Schrägstellung der Grundschrift erzielt. Die Folge: Proportionen werden nicht mehr eingehalten, die Schrift wirkt verzerrt. Es entsteht ein unharmonisches Bild. Allerdings gelingt das nicht in jedem Programm. InDesign beispielsweise greift nur auf verfügbare Schnitte zu, sodass kein Font künstlich geneigt oder breiter gemacht werden kann. Einige Ausnahme sind Kapitälchen, die auch InDesign aus einer bestehenden Schrift generiert.

Charlotte Erdmann
Unsere Autorin Charlotte Erdmann, Geschäftsführende Gesellschafterin bei Solokarpfen Publishing UG. ©viaprinto (Bild: Matthias Martin)

 

Neben der Blutsverwandtschaft der Schriftfamilien lassen sich Fonts klassifizieren und damit einer bestimmten Gruppe zuordnen, katalogisieren und pflegen. Was es mit den Schriftklassifikationen auf sich hat und warum diese kritisch zu betrachten ist, erfahren Sie in der kommenden Folge dieser Serie.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Bereits erschienen:

Die Geschichte der Schrift.
Das Schriftzeichen, die kleinste Einheit der Typografie.