Als Marx den Klassenbegriff einführte, herrschte bei den Schriften längst ein Klassenkampf. Seit Gutenbergs Bibeldruck wurden immer mehr Schriftarten entwickelt. Um sie besser einteilen, vergleichen und pflegen zu können, unterschied man sie nach Klassen. Fonts derselben Klasse lassen sich besonders gut kombinieren. Die beiden größten Klassen sind die Serifenschriften (auch Antiqua-Schriften genannt) und serifenlose Schriften (auch Grotesk genannt). Serifen haben Times, Bookman, Palatino oder auch Garamond. Ohne Serifen sind unter anderem Helvetica, Gill Sans, Futura und Univers. Daneben gibt es eine Vielzahl weiterer Klassen wie Schreibschriften, Symbolschriften und dergleichen mehr.
Die Formmerkmale der Schriften
Schriften werden nach der Form ihrer Buchstaben beurteilt. Wichtige Merkmale sind dabei die Art der Serifen, also ob sie an der Seite oder unten Kanten aufweisen, wie sie an den Buchstaben angesetzt sind und welche Achse sie verfolgen. Bei den Buchstaben selbst ist es wichtig, wie die Ober- und Unterlängen gestaltet sind, wie sich Groß- zu Kleinbuchstaben zueinander verhalten und welcher optischen Achse die Rundformen, beispielsweise das a und o, folgen. Strichstärken und Kontraste sind ebenfalls entscheidende Identifikationsmerkmale.
Die deutsche Gründlichkeit: DIN-Klassen
Diese sehr grobe Einteilung ist auch die Vorlage für die in Deutschland als DIN 16518 im Jahr 1964 eingeführte und 1998 überholte offizielle Schriftenklassifizierung. Die alte Fassung wird bis heute unterrichtet und teilt die Schriften in insgesamt elf Stilrichtungen ein:
- Die Venezianische Renaissance-Antiqua wurde aus den humanistischen Minuskelschriften entwickelt: abgerundete Serifen, schräger Querstrich beim e, schräger Dachansatz bei den Serifen, schräge Achsen, Grundstrich und Haarlinie sind im deutlichen Kontrast, Oberlängen der Kleinbuchstaben sind höher als die Großbuchstaben. Beispiele: Stempel Schneidler, Centaur, Janson Text.
- Die Französische Renaissance-Antiqua entwickelte sich aus den französischen Schriften des 16. Jahrhunderts: runde Serifen, gerader Querstrich im e, deutlichere Kontraste der Grund- und Haarlinien, schräge Achsen, kleines Auge im e und kleiner Bauch des a. Beispiele: Garamond, Goudy Old Style, Caslon, Palatino.
- Die Barock-Antiqua entstammte den Schriften des 18. Jahrhunderts: leicht abgerundete Serifen, stärkere Strichstärke mit deutlichem Kontrast, beinahe senkrechte Achsen. Beispiele: Baskerville, Ehrhardt, Concorde.
- Die Klassizistische Antiqua entstand Ende des 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts: zierliche, feine Serifen, Ansätze und Endungen waagerecht, senkrechte Achsen, klarer Kontrast der Grundstriche und Haarlinien, Oberlängen der Klein- und Großbuchstaben gleich groß. Beispiele: Bauer Bodoni, Didot, New Century Schoolbook.
- Serifenbetonte Linear-Antiqua heißt auch Egyptienne und entstand zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Sie wird je nach Art und Kehlung der Serifen in drei Untergruppen unterteilt:
a) Egyptienne: Hart angesetzte Serifen mit kantigen Übergängen, Serifen sind deutlich und groß. Beispiele: American Typewriter, Rockwell.
b) Clarendon: Übergänge zu den Serifen sind abgerundet. Beispiel: Clarendon.
c) Italienne: Serifen sind breiter als der Grundstrich, senkrechte Achsen, waagerechte Anstriche. Beispiel: Figaro. - Die Serifenlose Linear-Antiqua wird auch Grotesk oder Sans Serif genannt, da die Serifenlosigkeit zur Entstehung Anfang des 19. Jahrhunderts den Menschen grotesk vorkam: keine Serifen, gleichmäßiger Strich, kaum bis kein Kontrast zwischen Grundstrich und Haarlinie, senkrechte Achsen. Beispiele: Helvetica, Univers, Futura, Gill-Sans.
- Die Antiqua-Varianten ist eine Klasse für alle Antiqua-Schriften, die nicht in die Gruppen 1 bis 6 passen: Dekorschriften, mit und ohne Serifen, die an Antiqua angelehnt sind. Beispiele: Armold Böcklin, Blur, Broadway.
- Die Schreibschriften sind der Schreibschrift nachempfundene Druckschriften: sehen aus wie mit der Feder oder dem Pinsel geschrieben, schwungvoll, wechselnde Strichstärken. Beispiele: Brush Script, Kaufmann, Zapf Chancery.
- Die Handschriftliche Antiqua ist eine an die Druckschriften angelehnte Antiqua, als Schreibschrift modifiziert. Ihre Einteilung ist oft problematisch: ähneln Handschriften, geschwungene Anfangsbuchstaben, wechselnde Strichstärken. Beispiele: Time Script, Kaufmann, Reporter, Mistral.
- Die Gebrochene Schrift wird auch Fraktur oder Deutsche Schriften genannt. Sie gehen auf gotische Schriften zurück und hatten ihre Hochzeit im Nationalsozialismus: gebrochene Rundungen, in der Untergruppe Gotisch wirken die Schriften eher streng, in der Untergruppe Rundgotisch sind die Kleinbuchstaben weniger gebrochen, wirken runder, die Gruppe Schwabacher ist noch runder und breiter, die Fraktur sind eleganter und schlanker. Beispiele: Schwabacher, Wallau, Fette Fraktur, Fette Gotisch.
- Zu den Fremde Schriften gehören nicht-lateinische Schriften wie japanisch, arabisch, indisch, kyrillisch.
Die Moderne und die Normen
Mit der Nutzung des Computersatzes und damit einhergehend der Entstehung immer neuer Schriften wurde die Klassifikation der Schriften nach der alten Norm immer problematischer. Das historisch gewachsene System deckte die neuen Fonts nur schwer ab. Selbst wenn sie einen ähnlichen Namen hatten, konnten einheitliche Formmerkmale teilweise nur noch schwer nachgewiesen werden. Was wie eine Antiqua-Schrift aussieht, muss heute noch lange keine sein. Deshalb unterbreiteten die drei Typographen Indra Kupferschmid, Max Bollwage und Hans Peter Willberg 1998 dem Deutschen Institut für Normung den Vorschlag, die Norm einer Novellierung zu unterziehen. Ihre Idee: eine Aufteilung in lediglich fünf Klassen, die sich an der horizontalen und vertikalen Ausrichtung der Formelemente orientiert. Über den Status eines Entwurfs ist diese Idee aber nie hinausgegangen. Deshalb wird an den Hochschulen noch immer die alte Klassifikation – neben teilweise der neuen – gelehrt. Sie deckt noch am ehesten die Schriftarten ab und hilft dem Setzer dabei, über den Einsatz der passenden Schriftkombination zu entscheiden. Denn das ist das Wichtigste am Klassensystem: nur sich ähnelnde Schriften sollten zusammen eingesetzt werden. Einzige Ausnahme: Man will mit der Mischung sehr unterschiedlicher Fonts bewusst provozieren oder Aufmerksamkeit erwecken.
Das gelingt auch mit anderen Schriftgrößen und Laufweiten. Wie sich diese wozu einsetzen lassen, erfahren Sie im nächsten Teil dieser Serie.
Bereits erschienen:
Die Geschichte der Schrift.
Das Schriftzeichen, die kleinste Einheit der Typografie.
Blutsverwandtschaften: Von Schriftfamilien und -schnitten.