Was in einem Printerzeugnis gut aussieht, folgt online ganz anderen Gesetzmäßigkeiten. Ein Editorial Designer muss die Unterschiede der Medien kennen, um deren Inhalte ansprechend umsetzen zu können.
Die Werbeeinnahmen der Online-Ausgaben von verlegerischen Printerzeugnissen steigen seit mehr als einem Jahrzehnt deutlich an, während die der gedruckten Zeitungen rapide abnehmen. Doch die Inhalte des Internets sind oft gratis. Und so suchen Verleger und Verlage seit langem nach der besten Methode, um über das Internet UND das gedruckte Wort Geld zu verdienen. Crossmedial sollen die Inhalte aus der Print-Ausgabe deshalb in das Medium Internet verlagert werden. Für Editorial Designer, die den visuellen Rahmen für diese Inhalte bilden müssen, keine leichte Aufgabe. Denn aus einem gedruckten Werk eine Webseite zu bauen, ist nicht 1:1 möglich.
Unterschiede respektieren
Dennoch hören Webgestalter oft die folgende Forderung von ihren Kunden: „Machen Sie mir mal aus der Broschüre schnell eine Webseite“. Dabei ist die Umsetzung eines zweidimensionalen grafischen Elements in die vielschichtige Struktur einer Webseite meist zum Scheitern verurteilt. Zumindest sieht es nicht besonders gut aus am Ende. Denn online herrschen ganz andere Lesegesetze als beim gedruckten Werk. Leuchtende Oberflächen treten hier gegen mattes Papier an, kontinuierliches Scrollen gegen Umblättern. Oder wie Usability-Guru Jakob Nielsen es bereits 1999 auf den Punkt brachte: „Es gibt so viele Unterschiede zwischen den beiden Medien, dass es notwendig ist, unterschiedliche Designansätze zu ergreifen, um die Stärken jedes Mediums zu nutzen und seine Schwächen zu minimieren.“ Seine Forderung vor mehr als 18 Jahren lautete deshalb: „Respektiert (nein, genießt) die Unterschiede.“ Heute ist diese Aussage dank Mobilgeräten und den mannigfaltigen Funktionalitäten von HTML5 und Co. aktueller denn je.
Elemtente des Print-Designs
Doch worin bestehen die Unterschiede? Was macht ein Print-Design aus? Das Design eines Print-Objekts basiert darauf, dass die Augen von links oben nach rechts unten die Seite untersuchen, der Leser deren Informationen scannt und die auf der Seite enthaltenen Objekte in Relation zueinander stellt. Bildunterschriften werden neben Überschriften zuerst gelesen, während der tatsächliche Inhalt zweitrangig ist. Alles aber ergänzt sich gegenseitig und muss deshalb auch so aufgebaut sein, dass der Leser es in einen ganzheitlichen Kontext setzen kann. Von einer „gelungenen Seitenfolge“ spricht dabei Harold Evans, der von 1967 bis 1981 die Sunday Times herausgab. Seine Definition von Newspaper Design: „Die Zeitung stellt ein Vehikel zum Transportieren von Nachrichten und Gedanken dar. Ihr Design ist ein Teil dieses Prozesses. […] Hierzu kombiniert der Designer unterschiedliche Schriftarten für Fließtext und Auszeichnungstext mit Fotos, Linien sowie Leerfeldern zu einer gelungenen Seitenfolge.“ So wecken die Designer beim Leser den Wunsch zum Lesen.
Lesen in der Online-Welt
Auch online sollte dieser Wunsch geweckt werden. Doch hier herrschen ganz andere Gesetze: Die Hände scrollen mit der Maus oder dem Touchpad die Seite nach unten, während das Auge noch Informationen weiter oben verarbeitet. Inhalte werden lediglich geskimmt (vom Englischen Skimming = abschöpfen), da es so viele Informationen gibt, dass man sie schnell überfliegen muss. Der Leser erfasst so 25 Prozent des Seiteninhalts. Immer aber gilt das 20-Sekunden-Gesetz: Nach maximal 20 Sekunden hat sich der Leser für oder gegen den Inhalt der Webseite entschieden und surft weiter. Darauf muss das Design einer Webseite eingehen, indem es beispielsweise mit Bildern und großen Überschriften zum Verweilen einlädt. Auf der anderen Seite sind Interaktionen einzubauen: Klicken Sie hier, lesen Sie hier weiter, bestellen Sie jetzt. Webseiten haben viele Call to Action (CTA) Aufrufe, die gestalterisch animierend umgesetzt werden müssen. Und so bieten die meisten Seiten bewegte Elemente und weiterführende Inhalte an, deren ansprechende Umsetzung dem Gestalter eine hohe Designkunst abverlangt, die über die reine Text-Bild-Komposition der gedruckten Seite hinausgeht. Eine Art Zwiebelschichtendenken wird benötigt und das Wissen darüber, wie Benutzerführung funktioniert. „Usability“ ist hierbei ebenso wichtig, wie eine gute Lesbarkeit an wirklich allen digitalen Geräten, mit denen der Leser die Seite öffnen könnte. Viele Webseitenvorlagen bieten dazu schon „Responsive Designs“, die allerdings auch entsprechend mit Leben gefüllt werden müssen, damit sie den Leser ansprechen. Die hohe Kunst aber ist es, solch ein Design selbst zu erstellen.
Für die Konzeption eines Editorial Designs – sowohl offline, als auch online – muss man die grundlegenden Komponenten des Layouts kennen sowie die verschiedenen Designfaktoren. Welche das sind, erfahren Sie im kommenden Teil dieser Serie rund um das Editorial Design.
Bisher in dieser Reihe erschienen:
Die Kunst des Editorial Design – Eine Begriffsklärung.
Die unterschiedlichen Formen des Editorial Design.