Der Künstler Wassily Kandisky brachte es einmal auf den Punkt: „Buchstaben sind praktische und nützliche Zeichen, aber ebenso reine Form und innere Melodie.“ Sie geben uns Struktur, ordnen unsere Welt und geben unseren Worten Nachhaltigkeit. Die Art, wie sie gestaltet sind, sagt ebenso etwas über den Text aus, wie dessen Inhalt selbst. Doch Buchstaben sind noch mehr: Sie sind die kleinste Einheit unserer heutigen Schrift. Dabei besitzen sie selbst Eigenheiten und Formen, deren Bezeichnungen noch aus der Zeit des Bleisatzes stammen.
Der Kegel und das Fleisch
Eine kleine Zeitreise, um zu verstehen, wie Schriftzeichen sich aufteilen: Als Johannes Gutenberg 1455 den Buchdruck erfand, revolutionierte er das Lesen. Bücher wurden nun dank beweglicher, gegossener Bleilettern gedruckt. Der Metallkörper, von dem sich die Lettern abhoben, ist der Schriftkegel. Seine Größe ist die Basis der Schrift, seine Höhe muss für alle Schriften gleich sein. Nur so ist es möglich, Schriften unterschiedlicher Größe nebeneinander auf eine Textzeile zu setzen. Doch auch wenn die Kegelgröße die Schriftgröße definiert, so sind die Buchstaben – werden sie auf dem Ausdruck einmal nachgemessen – kleiner, als die ausgewählte Schriftart, die sich ja nach der Kegelgröße bemisst. Der Grund dafür liegt wieder einmal in der Historie: Im Buchdruck ist der Kegel immer ein wenig größer, als der Buchstabe selbst. Den Raum um den Buchstaben (auch Fleisch genannt) brauchte man aufgrund der großen Kräfte beim Pressdruck, die auf die Lettern wirkten. Wären die filigranen Linien der Buchstaben am Rand, würden sie beim Druck abbrechen.
Versalhöhen und Dickte
Als grobe Faustregel könnte man selbst in Zeiten von Desktop-Publishing und Computern angeben: Die Kegelgröße ist die Höhe der Versalien eines Buchstabens mal Faktor 1,4. Dabei ist die Versalhöhe immer die Größe der Großbuchstaben (auch Versalien oder Majuskeln genannt). Deren Messung erfolgt am Besten mithilfe der Buchstaben H, E oder M. Die Versalhöhe lässt sich aber auch aus der Kegelgröße mit dem Faktor 0,71 berechnen – oder sollte dies zumindest. Denn in Zeiten mannigfaltiger Fonttypen und Schriftschnitte ist diese Umrechnung nur noch auf die Helvetica anzuwenden. Bei gleicher Schriftgröße können sich also je nach Fontfamilie ganz unterschiedliche Versalhöhen ergeben. Gleiches gilt für die Dickte des Buchstabens, also die Breite des Schriftkegels. Nur bei Schreibmaschinenschriften ähnelt sich die Dickte. Sie werden deshalb auch monospaced fonts oder dicktengleiche Schriften genannt – im Unterschied zu Proportionalschriften, deren Dickte ganz unterschiedlich ausfällt.
Das Drumherum des Buchstabens
Die Bleikegel waren immer rechteckig oder quadratisch, damit man sie nebeneinander setzen konnte. Die druckenden Bereiche sind erhaben, um sie herum ist das Fleisch. Der Platz vor und hinter dem zu druckenden Buchstaben besitzt allerdings noch eine Bezeichnung: Vor- und Nachbreite. Und auch unterhalb des Zeichens ist Platz, damit sich die untereinander gesetzten Zeichen nicht berühren. Am Computer lässt sich dieser Bereich vollständig auflösen, im Bleisatz war das nicht möglich. Ebenfalls immer erhalten und vom Schriftgestalter festgelegt ist der Innenraum eines Zeichens, auch Punze genannt.
Die Buchstabenbestandteile
Neben der Aufteilung des einzelnen Buchstabens auf dem Schriftkegel, ergeben Schriften auch durch verschiedene Längen ihrer Bestandteile ein Bild. Alle Schriften werden auf einer Schriftlinie oder Grundlinie gesetzt – eine imaginäre Linie, an der sich alle Buchstaben ausrichten. Rundungen eines kleinen b oder eines p ragen jedoch leicht über diese Linie hinaus, damit sie optisch zu den glatt abschließenden Zeichen passen. Sie bilden also einen leichten Überhang. Den Mittelpunkt der Schrift bildet die Mittellänge, auch x-Höhe genannt. Kleinbuchstaben (auch Gemeinen oder Minuskeln genannt) wie a,c oder e nehmen nur den Raum der Mittellänge ein, sie ragen nicht darüber hinaus. Buchstaben wie h oder l verlängern sich nach oben. Der Abstand zwischen der Mittellänge und der oberen Buchstabenkante wird Oberlänge genannt. Das Pendant dazu am unteren Rand nennt sich Unterlänge. Die Versalhöhe schließt die Unterlänge nicht mit ein. Sie wird nur von der Grundlinie bis zur oberen Kante der Oberlänge gemessen.
Aus der Zusammensetzung dieser Bestandteile und deren Ausformung entsteht der Duktus einer Schrift. Strichstärke und -führung sind dessen entscheidende Bestandteile. Über die verschiedenen, daraus resultierenden Schriftfamilien und -schnitte berichten wir in der nächsten Folge dieser Serie.
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